Zeit ist relativ – besonders auf dem Land

Uhrzeiten? Nett gemeint. Mehr aber auch nicht. Hier auf dem Dorf messen wir Zeit nicht in Minuten oder Stunden, sondern in Vorgewenden, Bierlängen und Güllefässern. Und wer schon mal einen Landwirt gefragt hat, ob er pünktlich zum Abendessen kommt, der weiß: Das kann alles heißen – oder nichts.

Zeitangaben auf dem Dorf

Frage an den Du Göttergatten:

»Bist du zum Abendessen da?«

»Könnte klappen. Muss nur noch das Vorgewende.«

»Beckwiehe oder Bruch?« – du kennst den Zeitunterschied. Wahlweise könntest du noch eben die sieben Dachflächenfenster putzen, die letzten zwei Staffeln von Game of Thrones suchten oder einfach schon mal den Tisch decken.

»Wie siehts heute Mittag aus? Bist du rechtzeitig an der Burg?«

»Noch zwei Fass Gülle.«

Also nicht.

Ein Hoch an die unkaputtbaren Schmorgerichte!

Die wahre Geschichte von »gleich«

»Kommst du gleich auch kurz raus?« fragt der Göttergatte vom Hof.
»Klar, bin gleich da!« rufe ich, in der festen Überzeugung, dass ich innerhalb von drei Minuten draußen bin.

Doch dann fällt mein Blick auf das Spülbecken. Voll mit Wasser, denn das Geschirr sollte kurz einweichen – hatte ich schon mal erwähnt, dass meine Spülmaschine kaputt ist? Das kann ja nicht so bleiben. Also schnell den Abwasch machen. Während das Geschirr einweicht, sauge ich noch schnell das Wohnzimmer zu Ende. Jetzt noch kurz mit dem Akkusauger über den Teppich und fertig.

Zurück in der Küche: Abspülen, abtrocknen, ordentlich hinstellen – weil ich Geschirr neben der Spüle nicht ertrage. Fenster auf, frische Luft rein. »Bin gleich unten!« rufe ich auf den Hof hinaus.

Wenn ich schon runter gehe, kann ich auch gleich den Müll mitnehmen, denke ich. Und dann auch in einem Rutsch die beiden Staubsauger ausleeren. Auf dem Weg nach unten höre ich den Trockner piepen. Also Mülleimer und Staubbehälter abstellen und flugs in den Keller. Geht ja schnell. Die Wäsche aus dem Trockner holen und neu bestücken. Mit dem Wäschekorb wieder hoch, kann ja nicht auf der Treppe stehen bleiben, Müll rausbringen, überlegen, welche Tonne dran ist.

Als ich ENDLICH rauskomme, lehnt Göttergatte am Trecker. Doggo sitzt daneben. Beide schütteln mit dem Kopf. 

»Was?« sage ich empört. »Ich war doch gleich da!«

Wo bleibt die denn?

Zeitangaben, die nichts mit der Uhr zu tun haben

Hier auf dem Land gibt es Sätze, die jeder kennt – und die Zeitangabe ist dabei nur ein grober Richtwert:

  • » Ich bin noch bei Gerdi. Die Zapfwelle vom Güllefass spinnt«
    Gerdi, Landmaschinenmechaniker des Vertrauens.  Ein Besuch dort kann alles bedeuten. 
  • »Ich muss mal eben mit dem Lader los. Fritze ist ein Reifen vom Muldenkipper geplatzt «
    Das Wort eben kann hier 10 Minuten oder zwei Stunden bedeuten – je nachdem, wie groß der Schaden ist.
  • »Wann kommst du rein?« – »Wenn ich fertig bin!«
    Eine Zeitangabe, die nur zwei Menschen verstehen: der Landwirt selbst – und ich.
  • »Ich brauch mal eben …«  Ich brauch mal gerade die Säge.« – Sekunden später: Leiter auf der Schulter, Akkusäge in der Hand, er folgt mir wie ein Schatten.

Dorf-Zeiteinheiten, die jeder kennt

  • Nur noch drei Reihen – reicht locker für Nachrichten, Buch oder zwei Podcasts.
  • Eine Bierlänge – offiziell 10 Minuten, in Wirklichkeit bis jemand nach dem »Sicherheitsbier« ein »Schlürbier« verlangt.
  • Haufen abdecken – du weißt: Heute wird’s spät.
  • Noch eben zu Raiffeisen – heißt: halber Nachmittag weg, wenn Christian Dienst hat
  • Nur kurz zum Nachbarn – mindestens 1 Stunde und drei Bier.
  • Wetter-App – wahlweise spritzen, mähen, Gülle fahren, abwarten, Grill an 
  • Ein Blick aus dem Fenster – du siehst einschlägige Fahrzeuge auf dem Hof. Prüfen, ob das Mittagessen für drei Leute mehr reicht, Getränke kaltstellen.

Fazit: Die wahre Zeitmessung

Am Ende müssen wir uns eingestehen: Uhrzeiten sind auf dem Land nur eine grobe Orientierung.
Die einzig ehrliche Zeitmessung besteht aus Einheiten wie:

  • Eine Bierlänge
  • Ein Vorgewende
  • Zwei Fässer Gülle
  • Ein Blick aus dem Fenster
  • Makita-Akkus

PS: Gestern die jährliche Radtour mit den Mädels:

Ich habe mir so sehr den Helm blau lackiert, dass dieser Beitrag entsprechend kurz ausgefallen ist. Mein Wortschatz ist ausgedünnt. Das alte Spiel: Aus Halbe Leere machen. Die Idee zum Artikel kam heute morgen, als ich mich fragte, wie spät es gestern war und wenn ja, wieviele🤔🍻?? Shout out an Gabi, Bettina, Silke, Heidi, Kerstin und Wiebke! Es war mal wieder wunderbar!!

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