Es gibt Menschen, die leben in der Zukunft. Nicht so metaphorisch im »Ich habe Visionen«-Sinne, sondern ganz praktisch. Kein Scherz: Eine Bäckerei in Wuppertal hat jetzt im August angefangen, Unmengen von Spekulatius zu backen. Ein Kunde hat gleich 4.000 Tüten bestellt! Während ich noch die Balkonblumen gieße und beim Anblick von Dominosteinen im Sommer Beklemmung verspüre, frickeln andere bereits ihre Lichterketten für die aufwendige Aussenbeleuchtung auseinander.
Der Gedanke daran ist für mich so abstrakt wie Briefmarkensammeln oder Strohsterne basteln. Es gibt diese Menschen, die nichts dem Zufall überlassen. Sie planen, organisieren, sortieren – und ich bin schon stolz, wenn ich meinen Einkaufszettel schreibe. Gut, manchmal bleibt er dann auf dem Küchentresen liegen, weil ich gleichzeitig Leergut, Altglas und noch schnell den Müll rausbringen wollte, aber immerhin: Der Wille zur Organisation ist da.
Ganz-Jahres-Weihnachten
Für Saison-Sprinter ist Weihnachten kein Termin – es ist ein Lifestyle. Manche starten gleich nach Ostern. Da sitzt man mit Eilikör am Küchentisch, klickt sich durch Onlineshops mit verheißungsvollen Titeln wie »Dein perfekter Advent – jetzt planen!« und stapelt Motto-Socken (Spongebob geht immer), Axe-Duschgel-Sets (war im Angebot) und Puzzles mit 5.000 Teilen (Die Sahara von oben) im Schrank. Haben ist schließlich besser als brauchen.
Ich selbst werde im September schwach, wenn es um die Adventskalender meiner Zwillinge geht – und ja, die beiden sind inzwischen 25. Trotzdem packe ich jedes Jahr kleine Tüten und schreibe Zettelchen hinein. Tradition schlägt Vernunft.
Aber wehe, der Radiomoderator hat einen Clown gefrühstückt und spielt am 24. Juni »Last Christmas« mit dem lustigen Hinweis: »In einem halben Jahr ist Heiligabend!« Da möchte ich am liebsten mit Vollgas die verkehrsbehindernde, silberne A-Klasse mit dem LIP-Kennzeichen vor mir anschieben. Ein Hoch auf die Impulskontrolle.
Ab September überbieten sich die Supermärkte mit 47 verschiedenen Adventskalendern – von Schokolade über Dosenbier bis Trockenfutter für Hamster. Ich lasse mir Weihnachten nicht befehlen, schon gar nicht von Marketingabteilungen. Mein Dezember fängt an, wenn ich es entscheide, nicht, wenn irgendein Witzbold mit Wham! auf »Repeat« drückt und dazu enthusiastisch ruft: »Und jetzt alle …!«
Urlaub mit Vorlaufzeit
Manche Menschen buchen Sommerurlaube mit einer Vorlaufzeit, für die man sonst nur beim Straßenverkehrsamt Schlange steht. Während der Winter draußen noch seine Salzränder auf die Straßen malt, wissen sie schon, in welchem Restaurant sie im August nächsten Jahres am dritten Abend essen werden – und die Sonnenliege ist selbstverständlich reserviert. Erste Reihe, dritter Sonnenschirm links.
Fernreisen wollen geplant sein, keine Frage. Wer traditionsgemäß immer dasselbe bucht – Hotelzimmer, Ferienwohnung, Airbnb-Hütte, bitte sehr, Geschmackssache.

Ich hingegen buche nur spontan, weil ich unmöglich im Januar wissen kann, wann ich wegkann. Irgendwas ist ja immer. Und ins Reisebüro gehe ich schon gar nicht – nicht, weil ich Reisebüros nicht grundsätzlich ablehne. Meine Ausbildung dort war nur… sagen wir: die Hyäne aus der Bahnabteilung hat mir das Leben zur Hölle gemacht – Mobbing kannte man offiziell noch nicht. Gerne hier nachzulesen! Nein, sondern weil ich genau weiß, was mich erwartet: Der Blick über den Brillenrand, das bedauernde Kopfschütteln und der Satz: »Da müssen Sie sich aber beeilen, das ist fast alles ausgebucht!« Damit wollen sie dich festnageln, denn die Provision winkt. Am besten gleich eine Reiserücktrittversicherung obendrauf – sicher ist sicher. Ja nee, is klar!
Es gibt Menschen, die führen akribische Geschenk-Archive, als wären sie das Bundesamt für Schenkungswesen. Da steht fein säuberlich notiert: »2005 – Tante Gertrud – Topfset, mittleres Preissegment« oder »2010 – Schwager – Weinkorb, italienisch«. Manche haben sogar Farbcodes: Blau für »Volltreffer«, Gelb für »ging so«, Rot für »nie wieder, außer als Rache«.
Und weil das nicht reicht, wird zusätzlich dokumentiert, was man selbst bekommen hat – damit man es beim Zurückverschenken bloß nicht der falschen Person überreicht. Ich würde die Exceltabelle mit dem Titel »Nie wieder Geleebananen in Zartbitter« nennen.
Ich selbst? Ich kriege schon Schnappatmung, wenn ich nur daran denke, wie viel Geld in welchen Umschlag für welchen runden Geburtstag oder Hochzeit muss – und das auch noch unterschiedlich je nach Bundesland! 50 Euro in Niedersachsen, 60 in NRW? Oder umgekehrt? Ich habe keine Chance, da durchzublicken. Deshalb rufe ich regelmäßig die lieben Listen-Menschen in meinem Umfeld an. Ohne sie wäre ich komplett aufgeschmissen.

Stattdessen stehe ich zuhause vor dem Schrank, in dem sich originalverpackte Schnapsflaschen stapeln, die keiner trinken will – und ich nicht mehr weiß, ob sie von Hinz oder Kunz stammen. Zurückgeben? Unmöglich. Behalten? Na gut, irgendwann putze ich damit wenigstens die Fenster. Und wenn es Korn ist, wird er zu Schwarten.
Hightech-Gartenplanung
Natürlich kann man seinen Garten heute schon per KI in die Zukunft simulieren lassen. Da sieht man dann am Bildschirm, wie in zehn Jahren die Rosen akkurat in die Höhe schießen, die Stauden in perfekter Farbharmonie blühen und der Rasen sich wie ein englisches Golfgreen präsentiert. Blühkurven wie aus einer PowerPoint-Präsentation, Folie 27. Klingt toll – nur blöd, dass Pflanzen nicht automatisch wachsen. Und Giersch lässt sich bekanntlich nicht mit einem barschen »Raus aus dem Beet und nicht über das Geharkte!« verscheuchen.

Versteh mich nicht falsch: Ich habe nichts gegen KI-Gartenplanung. Aber was bitte bringt mir die schönste 3D-Visualisierung, wenn drei Wochen Hitzewelle reichen, um meine Hortensien in trostlose Heubüschel zu verwandeln? Und wieso soll ich einen Gartenarchitekten dafür bezahlen, mir auf dem Bildschirm einen Traumgarten zu entwerfen, wenn ich doch weiß, dass demnächst wieder ein Kabel durch die Rabatte gelegt werden muss?
Von den spontanen Projekten ganz zu schweigen – die Hütte mit Warmwasseranschluss, weil dort ja noch Platz für eine Outdoor-Küche ist? Und dann kommt sowieso das Leben dazwischen: Der Buchsbaumzünsler legt zweimal im Jahr eine All-you-can-eat-Party ein oder der teuer gekaufte Goldregen löst plötzlich eine schlimme Allergie bei dir aus. Vielleicht sehe ich zu schwarz, aber ich bleibe in dieser Sache oldscool. Also gießen, jäten und die Schnecken mit der Gartenschere zerschneiden.
Fazit
Man könnte neidisch auf all diese Menschen sein, die ihr Leben so präzise planen wie eine Marsmission. Aber mal ehrlich: Auch dort kracht es bestimmt ab und zu. Die besten Geschichten entstehen oft im Chaos: vergessene Geschenke, improvisierte Urlaube, Gärten im Wildwuchs-Modus, oder einfach nur: »Halt mal mein Bier.«
Menschen, die planen, sind großartig. Menschen, die improvisieren, sind es auch. Und falls ich nächstes Jahr wirklich im August Spekulatius kaufe, dann nicht, weil es auf irgendeiner Liste steht, sondern einfach, weil ich Lust darauf habe.
