Ja, ich gebe es zu. Während du den Überraschungserfolg aus Finnland vom letzten Filmfestival im Original als Directors Cut mit Untertiteln auf Arte genießt, sitze ich erwartungsvoll mit einem kühlen Getränk auf dem Sofa und konsumiere hemmungslos Trash-Sendungen. Ja, ich bin ein Trashy, und ich liebe es! Doch was genau fesselt mich an dem ‚Sommerhaus der Stars‘ oder ‚Kampf der Realitystars‘ und Co.? Liegt es an den Fremdschäm-Momenten, oder an meinem tiefen menschlichen Bedürfnis nach No-Brainer-Entertainment?
Ein kurzer Weg von harmlos zu guilty pleasure
Eine kleine Folge ‚Dschungelcamp‘ hier, ein Hauch ‚Big Brother‘ da. »Das ist nur Recherche«, habe ich meinen Fernsehkonsum anfangs vor meinem Göttergatten gerechtfertigt. Seine Augenbrauen hätten nicht skeptischer sein können, wenn ich mein plötzliches Interesse für Weltraumtechnik bekundet hätte. Ihm gingen und gehen diese Art von Sendungen extrem auf den Wecker. Irgendwann hat er nur noch müde abgewunken, als er merkte, dass seine spitzen Bemerkungen oder kellertiefen Seufzer bei mir ins Leere liefen.
Aber mal ehrlich, ich war längst verloren und steckte mittendrin: Ich fieberte mit, wenn sich die Kandidaten in albernsten Challenges zum Affen machten und ihre Würde gegen Sendezeit eintauschten. Der Moment, in dem die letzten Nerven blank lagen und sie sich in sinnlosen Diskussionen anbrüllten, war schnell erreicht. Beispiele, die sich für ein gehaltvolles Trinkspiel eignen: »Jetzt sind die Masken gefallen!« oder »Endlich zeigt sie ihr wahres Gesicht!« oder »Ganz Deutschland wird sehen, wie fake du bist, du Opfer!« oder »Kennenlernphase« oder »Respektlos«. Meine Lieblingsfloskel ist ganz klar: »Ich bin der einzigste wo wirklich real ist!«
Das Dschungelcamp: Wahrheiten an der Feuerstelle
Der Klassiker unter den Trash-Sendungen! Wo sonst hocken jedes Jahr aufs Neue längst vergessene Schauspieler, DSDS-Gewinner, deren Namen in der Versenkung verschwunden sind, Sportler, die ihrer einstigen Fitness kettenrauchend hinterher jammern, austauschbare Influencer, Schlagerstars vom Abstellgleis geholt und und die obligatorische Playboy-Tante, die gerade noch rechtzeitig aufs Cover gerutscht ist, zusammen auf Klappbetten um eine Feuerstelle im Dschungel? Ich sehe dabei zu, wie sie um den letzten Rest ihrer Selbstachtung kämpfen, während sie in einem Tank voller Kakerlaken baden und Fragen beantworten, die den Besuch der Grundschule voraussetzen. Zugegeben: Bei den Essens-Prüfungen bin ich raus – ich müsste sonst reihern wie ein gerammter Hydrant. Hier findest du die fünf besten Momente aus allen Staffelen.
Kampf der Realitystars: Wenn sich Z-Promis an die Gurgel gehen
Ah, ‚Kampf der Realitystars‚. Was für ein wundervolles Format von RTL und neben dem Sommerhaus mein absoluter Favorit! Moderiert von der ehemaligen Spielerfrau Cathy Hummels, die mit weit aufgerissen Augen stockend ihre paar Zeilen von Karten abliest und nebenbei mal wieder ihre neueste Kollektion – designed für Menschen mit einem Körpergewicht von 5 Kilo über Organversagen – präsentiert. Aber Gerüchten zufolge, war die Staffel Nummer fünf von diesem Jahr ihre letzte.
Das Konzept des sozialwissenschaftlichen Experiments? Du nimmst 20 Menschen mit Egos, groß wie Flugzeugträger, steckst sie in eine Hütte am thailändischen Strand und lässt sie gegeneinander in einem endlosen Kampf um Sendezeit und Aufmerksamkeit – in teilweise richtig witzigen Spielen – antreten. Die Ergebnisse? Unbezahlbar. Am spannendsten geht es an der ‚Wand der Wahrheit‘ zu. Hier geht es einzig um Drama, Drama, Drama. Dort ranken sich die Protagonisten gegenseitig nach Kriterien wie Beliebtheit, Erfolg oder Relevanz bis zwangsläufig die Fetzen fliegen.
Ich weiß nicht, was besser ist: die plötzlich aufflammenden „Allianzen“, die sich nach fünf Minuten wieder auflösen, oder wenn die Z-Promis betonen, sie seien ganz anders als die anderen hier – während sie exakt dasselbe tun wie alle. Ein herrlicher Wahnsinn!
Sommerhaus der Stars auf RTL: Die bodenlose Trash-Hölle
Ach, das Sommerhaus. Das ultimative Schlachtfeld der Liebe (sofern bei den ‚Paaren‘ jemals Liebe im Spiel gewesen ist). Hier erfahre ich, welche Promi-Paare in kürzester Zeit sämtliche Verhaltensregeln über Bord werfen, während sie sich bei den absurdesten Prüfungen ihre Köpfe einschlagen und sich dabei lautstark wie hemmungslos beleidigen.
Stell dir vor: Gefühlte 40 muffige Quadratmeter voller ausgestopfter Tieren, die von den Wänden glotzen und dreckiges Geschirr, dass sich in der Spüle türmt. Volle Aschenbecher dekorieren den Terrassentisch und gebrauchte Augenpads kleben wie Grußkarten am Spiegel im Bad – ganz so, als hätten die vorherigen Bewohner das Putzen in den 90ern aufgegeben.
Die Produktion unterstützt mit regelmäßigem Alkoholnachschub den unaufhaltsamen Drang der Paare (und natürlich auch die, die nur für die Gage und ein paar mehr Insta-Follower eingezogen sind) darin, ihre moralische Insolvenz einem breiten Publikum unter Beweis zu stellen.
Spoiler: Die letzte Staffel (Nummer 9 inzwischwischen!) hat mir den Rest gegeben. Hard to watch, wirklich! Das Niveau war schon tief angesetzt, um keine Ansprüche aufkommen zu lassen, aber den Auserwählten ist es gelungen, sich zweistöckig zu unterkellern. Bei einigen Insassen dachte ich ernsthaft, gut, dass Atmen ein Reflex ist!
Beispiel:
Die selbstgerechte Veganerin: eine Mischung aus moralischer Überlegenheit, gepaart mit subtiler Schuldzuweisung. Ich bin weder gegen Veganer noch Vegetarier – ich bin nur gegen Menschen, die meinen, sie hätten die einzig wahre Erleuchtung gefunden und müssten diese nun in die Welt tragen wie die Bundeslade. Mit einer Aura der Erleuchtung erklärte sie hingebungsvoll (frech und laut) warum Fleischessen nicht nur schlecht, sondern geradezu ein Verbrechen sei. Ihr Motto: „Ich rette die Welt“ und „Du bist das Problem“. Belehren ist sexy wie eine kalte Suppe. Niemand mag es. Und wenn die Suppe dann auch noch das Wort „Schuld“ enthält, dann war’s das mit der Mahlzeit. Kurzum: Sie hat jede Möglichkeit, den veganen Lebensstil schmackhaft zu machen, gründlich gegen die Wand gefahren.
Ich war wirklich erleichtert, als es vorbei war. Doch kaum lief der Abspann, war mir klar: Die Wiedersehensshow werde ich mir natürlich auf keinen Fall entgehen lassen …
Das große Wiedersehen RTL2: Der Sommerhausfluch hat wieder zugeschlagen
Ich habe es gesehen. Na ja, fast. Ich musste zwischenzeitlich die Lautstärke runterdrehen, weil ich dachte, ich krieg ’nen Knalltrauma. Das große Wiedersehen der Sommerhaus-Stars war nämlich eher ein akustisches Desaster als ein TV-Event. Knapp zwei Stunden lang wurde sich in einer Tour angebrüllt und gegenseitig ins Wort gefallen. Die Veganerin hat sogar kurzzeitig theatralisch das Studio verlassen. vielleicht dachte sie ein letztes mal: „It’s my time to shine!“
Frauke Ludowig als Moderatorin hatte alle Hände voll zu tun, aber es half nichts: Das war wie ein Schulausflug der fünften Klasse mit Streit um die besten Plätze im Bus – mit Drama, Gezicke und Fingerzeigen auf dem Niveau von „Der hat aber angefangen!“.
Als Moderatorin wirkte Frau Ludowig wie eine wie eine Referendarin auf Lehramt, die eine Horde wütender Hyänen bändigen will – mit Klemmbrett und einem Blick voller Verzweiflung. Ganz ehrlich, RTL: Warum nicht gleich Sophia Thomalla? Die hätte ihre Pappenheimer mit einem ironischen Spruch und einem Blick im Zaum gehalten. Mit Frauke war das wie mit einem Teelicht ein Stadion ausleuchten zu wollen – gut gemeint, aber völlig ineffektiv.
Das schwächste Paar – und damit meine ich wirklich das schwächste, weil sie während der ganzen Show nicht ein einziges Spiel gewonnen haben – setzte sich am Ende tatsächlich durch. Gegönnt hat es ihnen niemand. Ich auch nicht. Und wie man es so schön nennt: der berühmt-berüchtigte Sommerhausfluch hat auch dieses Jahr wieder zugeschlagen! Zwei Paare sind inzwischen getrennt, und es würde mich nicht wundern, wenn mindestens ein weiteres Paar kurz davor steht. Ist halt schwierig, wenn die gemeinsamen Erinnerungen vor allem aus Eskalation und Beleidigungen bestehen.
Das Sommerhaus hat mich wieder einmal bestens unterhalten – und gleichzeitig meinen Glauben an die Menschheit erschüttert. Bis zur nächsten Staffel!
YouTube: Trash-TV recycelt
Würde ein „normaler“ Mensch hier aufhören, wäre das verständlich. Aber ich gehe einen Schritt weiter: Ich konsumiere die Reactions auf YouTube. Nenn mich einen Trash-Ultra! Was gibt es Schöneres, als zu sehen, wie jemand live mitleidet und sich an den gleichen Stellen Fremdscham-Falten auf die Stirn schraubt? Aber Moment – nicht jede Reaction ist gleich. Ich mag keine Moralapostel, die mit erhobenem Zeigefinger kommentieren und mit ihrer selbst angelesenen Küchenpsychologie und ihrem Buzzword-Bingo alles in Grund und Boden analysieren. Sobald ich Begriffe wie „toxisch“, „Red Flag“ oder „Gaslighting“ höre, steige ich gedanklich aus.
Deshalb habe ich meine Favoriten: Carbibi, Marcneto und die Jungs von Bullshit TV (und deren Zweitkanal mit Phil und C-Bas). Die machen es richtig für meinen Geschmack. Sie kommentieren mit einer Mischung aus Selbstironie, perfekt getimten Gags, untermalt mit herzhaften Lachanfällen und witzigen Einspielern.
Fazit: Trash-TV ist meine Reality-Flucht
So, das ist mein Geständnis. Ich, überzeugter Trashy, bin süchtig nach Reality-Formaten und ihren YouTube-Nachbesprechungen. Warum nicht mal eine Stunde lang völlig belanglosen Streit sehen, der keinerlei Konsequenzen für mein Leben hat? Nur pures, ungeschnittenes Chaos. Und wenn ich zum tausendsten Mal hören muss: »Ich bin hier, um zu gewinnen, nicht, um Freunde zu finden!«, na und? Und jetzt entschuldigt mich – ich muss noch herausfinden, wer bei ‚Are You the One?‘ das Matching-Night-Licht verhauen hat.
P.S.: Es geht noch weiter
Über die Dating-Formate wie ‚Love Island‘, ‚Are you the One’ und ‘Temptation Island‘ lasse ich mich ein anderes Mal aus – die verdienen einen eigenen Artikel. Fun Fact: Sobald die Produktion ein ‚VIP‘ dranhängt, bedeutet das nur, dass die Ex-Normalos von gestern plötzlich als Promis gelten. Da es sich dabei um nachwachsende Rohstoffe handelt, wird sich der Trash-Kosmos noch eine Weile weiterdrehen.
Hi Kerstin,
ich musste laut loslachen. Auch ich bin ein Trashy, obwohl ich mit diesen Reality-Shows nur wenig anfangen kann. Naaa gut: Von Big Brother, Bauer sucht Frau und Dschungelcamp habe ich mir die ersten Staffeln (in grauer Urzeit) noch angetan. Natürlich aus reinen Recherchegründen als Storytella!! :)))
Aber meine wahres Trashy-Herz (als studierte Germanistin) schlägt für Kinofilme der besonderen Art, wie Sharknado (ein Tornado mit Haien), Tarantula, Anaconda, oder diese alten Jack-Arnold-Filme, wie Der Schrecken vom Amazonas. Mein Mann und ich schmeißen uns immer weg vor Lachen – und ich finde hier ECHT coole Szenen fürs Storytelling!!
Ganz „intellektuell-anspruchsvolles“ neues Fundstück: I bought a vampire motorcycle (ein Motorrad als Blutsauger…) *lach*
So, jetzt isses raus, mein Outing! #
Liebe Grüße
Manuela
Hallo Manuela,
ich musste beim Lesen deines Kommentars auch laut auflachen! diese Filme sind gar nicht meine Baustelle aber allein die Titel klingen vielversprechend 😂. Ein wunderbares Outing deinerseits!! super!
Liebe Grüße
Kerstin
Liebe Kerstin,
da ich so gerne deinen Geschichten lausche und absolut keine Ahnung hatte, was ein Trashy ist, habe ich neugierig deinen Blogartikel gelesen.
Jetzt ahne ich die Bedeutung von Trashy und bin mir sicher, dass ich kein Trashy bin. Ich gehöre eher zur Kategorie Augenbrauen hochziehen oder meine Laster sind Andere. Danke für die kleine Reise in deine Welt.
Liebe Heike,
niemand in meiner direkten Umgebung kann verstehen, warum ich Trash-TV anschaue. Sie halten mich einfach für bekloppt. Also bist du in allerbester Gesellschaft 😃. Nur mit meiner Tochter Lena kann ich diese Sendungen durchhecheln und darüber lachen. Ihre Zwillingsschwester hat auch kein Verständnis dafür. Weder für ihre Schwester, noch für mich. Ein weiteres Laster ist das Singen! Ich singe so falsch, dass ich das nur noch im Auto und allein praktiziere!
Geht doch nichts über ein gepflegtes guilty pleasure. Ein bißchen Ablenkung brauchen wir doch alle.
Dschungelcamp guck ich auch ab und an mal rein, bei diesen Essensprüfungen bin ich aber auch raus. Das kann ich mir auch nicht angucken.
Ansonsten meide ich reality tv eher, das macht mich nervös. Und ich dachte immer, ich hätte so gar nichts über für Datingshows. Bis ich bei Netflix über Love is blind gestolpert bin – und mein All time guilty pleasure gefunden habe. Da kann ich nicht dran vorbei.
Liebe Grüße
und frohes Schauen
Britta
Jetzt bin ich neugierig – von Love is blind bisher noch nichts gehört, aber sofort gegoogelt. Klingt sehr vielversprechend, quasi eine weitere Bügelhilfe.
Liebe Grüße
Kerstin
Liebe Kerstin,
ich habe lauthals gelacht – ich liebe deinen Schreibstil!
Aber trotzdem ist das nichts für mich – ich habe andere „Laster“.
😉
Liebe Claudia,
hihi, freut mich sehr!
Die Sendung mit den Promis in Thailand habe ich auch mal geschaut. Das lag daran, dass ich nachts nicht schlafen konnte und den Fernseher eingeschaltet habe. Es wurden alle Folgen nacheinander gezeigt. Teilnehmer:in war u. a. Frau D. Nick. In der Nacht wurde ich auch kurz zum Suchti. Konnte die nächste Folge kaum abwarten und habe mich über jede Werbung geärgert. Gab’s denn davon schon wieder eine Neuauflage? Oder vielleicht ein „best of“ 😂?
Die Sendung nannte sich ‚Promis unter Palmen‘ und wurde von s
Sat 1 wegen einiger Skandale (Tod von Willi Herren und Aussagen von so einem adoptierten Prinzen) für etwa zwei Jahre auf Eis gelegt. Im Moment finden wieder Dreharbeiten statt 💪
Genial geschrieben! Obwohl ich kein Fan von solchen Sendungen bin, bekomme ich beim Lesen Deines Artikels Lust, mich in diese Trash-Hölle zu begeben. 🙂 Du hast also alles richtig gemacht.
Haha! Danke für den lieben Kommentar! Das Gucken ist Fluch und Segen zugleich. Muss man wollen …
Wow, eine wahrhaft andere Seite an dir! 👍
Haha, für dich völlig unbekanntes Terrain, ich weiß! 🧐