Früher hat ein harmloses »Das steht dir aber gut« gereicht, um sofort in hektische Verteidigungshaltung zu gehen: »Ach was, das ist schon uralt, hab ich im Ausverkauf gefunden!« Heute? Her damit! Wie Payback-Punkte – ohne Wenn und Aber.
Früher? Lieber wegducken
Ich erinnere mich gut an die Zeiten, in denen mich ein einfaches Lob nervös gemacht hat. »Ach, das war doch nichts.« Oder: »Naja, ehrlich gesagt war das nur Zufall.« »Danke, aber…« – ein Klassiker. Immer dieses »aber«, immer ein gedanklicher Purzelbaum. Warum? Weil ich – Achtung, Seelenstriptease – dachte, ich hätte es gar nicht verdient. Ein paar Beispiele aus dem wahren Leben gefällig?
- »Deine Haare sehen toll aus.« »Was? Diese langweiligen Zotteln? Da muss dringend wieder ein Schnitt rein.«
- »Die Hose steht dir richtig gut!« »Ach, die hatte ich ewig nicht an. Ich finde, sie macht einen dicken Arsch.«
- »Du hast ein echtes Talent zum Formulieren.« »Ach, es dauert ewig, bis ich selbst mit meinem Geschreibsel zufrieden bin. Von Zeichensetzung brauchen wir gar nicht erst reden.«
- »Dein Kuchen schmeckt fantastisch!« »War nur `ne Backmischung! Und Butter hatte ich auch nicht mehr, deshalb habe ich billige Margarine genommen und der Boden ist etwas hart, finde ich.«
Na und? Von alleine wäre diese Käse-Sahne-Torte auch nicht aus der Verpackung in den Ofen gesprungen, herrje! Ich für meinen Teil kann übrigens auch wahnsinnig gut auftauen! Auch ein Skill!
Komplimente sind keine Fangfragen
Wenn mir heute jemand sagt, dass ich etwas gut gemacht habe, denke ich nicht mehr: »Hoffentlich merkt derjenige nicht, dass ich im Tal der Ahnungslosen unterwegs war und keine Ahnung hatte, was ich da tat.« Sondern: »Danke – ich hab mich echt reingehängt.«
Dass das nicht jeder so sieht, merke ich übrigens regelmäßig an der ostwestfälischen Lob-Kultur. Die ist… sagen wir: reduziert.
Kostprobe?
- »Japp, geht den Hals runter« → Bedeutet: Das Essen war hervorragend
- »Dafür wirst du schließlich bezahlt« → Bedeutet: Danke für deinen Einsatz. Theoretisch.
- »Wusste gar nicht, dass du sowas kannst.« → Bedeutet: Wow!
- »Wenn man’s nicht besser weiß, denkt man, das war Absicht.« → Bedeutet: Liebevoll gemeinte Demontage. Ostwestfälisch-passiv-aggressives Lob.
Kein Sechser im Wertschätzungs-Lotto, oder? Ironie und Understatement in allen Ehren – aber manchmal tut es einfach gern mal ein simples: »Ey, das war richtig gut gemacht. Danke dir!«
Heute: Ich mache mich nicht mehr klein
Irgendwann habe ich gemerkt: Ich machte mich selbst klein. Das musste echt aufhören. Heute weiß ich, wer ich bin. Und nein, nicht diese abgegriffene „Lieb dich erst selbst, dann liebt dich die Welt“-Leier, die dir jeder Life-Coach jedes zweite Kalenderblatt unterjubeln will. Sondern so richtig: mit allen Macken, Kanten und der guten alten Portion Selbstironie. Ich muss nicht gleich zum Superhelden mutieren. Das ist geradezu lächerlich! Leider ist diese nörgelige Stimme immer noch in meinem Kopf. Ich höre sie noch, aber ich hör ihr nicht mehr zu. Ich habe entschieden, freundlich mit mir zu sein.
Wenn ich mein Handy mal wieder nicht finde, sage ich nicht: »Ich bin ein Schussel.« Ich sage: „Ich bin ein kreativer Freigeist mit leicht chaotischer Raumenergie.“ Klingt gleich besser, oder nicht?
Und wenn mein innerer Kritiker nölt: »Nimm beim Radfahren nicht ständig nur den Turbo-Gang! Streng dich mal mehr an! Außerdem verbraucht das zuviel Akku!« Dann antworte ich: »Mein E-Bike hat ihn. Ich nutze ihn. Ende der Diskussion, Kollege!«
Natürlich verliere ich immer noch Dinge. Vorzugsweise meine AirPods. Ich meine: Wer macht denn bitte so eine winzige Box? Aber heute verzeihe ich mir das schneller. Außerdem gibt es dafür diese wunderbare ‚Find my Apple-irgendwas‘-App.
Wenn du dir nur oft genug einredest, du seiest nicht genug – hübsch genug, schlau genug, sportlich genug – dann glaubst du das irgendwann selbst. Willkommen in der Welt der Selffulfilling Promises. (Ja, so wie Self-Fulfilling Prophecies, nur mit mehr innerem Drama und weniger Tarotkarten.)
Loben macht stark – besonders Kinder
Ich bin ohne viel Lob groß geworden. War halt normal, wenn man was »gut gemacht« hat. Wurde einfach erwartet. Kein Schulterklopfen, keine Glitzerkonfetti-Parade, kein extra Keks.
- »Du hast eine Zwei geschrieben? Gut. Nächstes Mal in Mathe bitte auch. Was haben denn der/die XY geschrieben? Waren die besser als du?«“
- »Du hast dein Zimmer aufgeräumt? Wurde ja auch mal Zeit.«
Aber ich sag dir was: Kinder brauchen Lob. Wie Gänseblümchen die Sonne. Und nein, ich meine nicht das inflationäre „Super gemacht!“ für jeden Pups oder halbwegs gelungenen Pinselstrich. Sondern echtes, ehrliches Lob:
- »Du hast richtig lange geübt, das sieht man.«
- »Das war eine richtig clevere Idee – wär ich nicht draufgekommen!«
Damit geben wir Kindern emotionale Superkräfte.

Komplimente verteilen macht die Welt größer
Ich hau gerne Komplimente raus – und zwar ehrlich und direkt. Ohne Hintergedanken. Warum auch nicht? Komplimente kosten nichts. Keine Zusatzgebühr, kein Abo, keine versteckten In-App-Käufe, keine Datenschutzbedenken. Nur Wirkung: maximal.
Ich habe mal einer Frau auf Langeoog in einem Café gesagt, das ich ihre Schuhe toll finde und gefragt, wo sie die herhatte. Sie strahlte mich an wie ein Primelpott und verriet mir, dass sie die in Holland entdeckt und sich sofort schockverliebt hat. Komplimente machen uns alle ein bisschen mehr zu Sonnenblumen – wir wachsen zum Licht.

Fazit: Nimm’s an. Mit Stil.
Wenn dir heute jemand sagt, dass du gut aussiehst, dass du toll arbeitest, dass du einen genialen Humor hast oder die beste Käse-Sahne-Torte westlich von Meppen backst – dann sag einfach:
»Danke.«
Mehr braucht’s nicht.
… na gut, ein Stück Torte vielleicht.

Wenn man so will
Bist du das Ziel einer langen Reise
Die Perfektion der besten Art und Weise
In stillen Momenten leise
Die Schaumkrone der Woge der Begeisterung
Bergauf, mein Antrieb und Schwung
Ich wollte dir nur mal eben sagen
Dass du das Größte für mich bist
Und sichergehen, ob du denn dasselbe für mich fühlst
Für mich fühlst
Liebe Kerstin,
wunderbar, deine Ode auf das bedingungslose annehmen von Lob. Mein Lob für dich 🤗: Du schreibst einfach so herzliche und mit viel Witz gepickte Beiträge, dass es jedes mal richtig Laune macht – also gute Laune natürlich. So, nimm’s an und genieße es einfach nur 😉.
Auch ich habe die letzten Jahre gelernt Komplimente ohne WENN und ABER anzunehmen und ich mache auch gerne Komplimente. Toll, was da für Reaktionen kommen, fast immer überrascht aber dann ein Strahlen.
Hey Antonette,Liebe [Name],
haha, na wenn das mal kein Kompliment deluxe ist!
Vielen, vielen Dank für deine lieben Worte – ich nehme das Lob jetzt einfach mal unverblümt an. Ist schon irre, was so ein simples „Gut gemacht!“ auslösen kann – da blitzen die Augen, als hätte man gerade im Lotto gewonnen. 💎🎉
Also: Lob für dich zurück – für diesen wunderbaren Kommentar!
Herzlichst,
Kerstin 🌻