Ich gebe es zu: Ich habe Dinge. Was ich tatsächlich horte – mit voller Überzeugung und einer dicken Prise Sentimentalität – sind alte Leinentücher, handgewebt von meiner Oma, versehen mit ihren feinen Initialen. Schätze, die leise „Mach was aus mir fürs Future-Home“ flüstern.
Nein, was ich meine sind gehortete, geschonte und nie benutzte Dinge, die nur zu »besonderen« Anlässen aus dem Schrank geholt und benutzt werden. Die hochwertige Bodylotion, die du nicht so schnell verbrauchen möchtest oder der Champagner, der seit Jahren im Schrank vor sich hindümpelt und darauf wartet, getrunken zu werden, bis er am Ende zu Essig gekippt ist.
Und die Wurzel dieses Denkens? Die liegt – man ahnt es schon – in einem Raum, den wir als Kinder bestenfalls aus der Türöffnung bestaunen durften…
Die gute Stube – das Heiligtum, das man nur mit Erlaubnis betreten durfte
Wer kennt ihn noch? Diesen einen Raum im Haus der Eltern oder Großeltern, den man als Kind nur aus der Ferne kannte? Still und ehrfurchtsvoll lag er da, wie ein Wohnzimmer unter Denkmalschutz mit Teppich. Ein Raum, der selbst Staubpartikeln das Gefühl vermittelte, unerwünscht zu sein.
Der Tisch
In der Mitte: der geflieste Eichen-Couchtisch, ein schweres Monument auf vier gedrechselten Beinen, so massiv, dass man ihn bei einem Umzug als Immobilie deklarieren müsste. Er wirkte, als wäre er von einem bayrischen Förster direkt aus dem stamm gehauen und mit Fliesenkleber veredelt worden. Aber ein Glas einfach so abstellen? Sakrileg! Dafür gab es filigran verzierte Zinn-Untersetzer, bereitgestellt in einem, mit röhrenden Hirschen gehämmerten Behältnis.
Der Aschenbecher
Daneben thronte ein Kristallaschenbecher, ein gläserner Koloss mit acht Zigarettenkerben – für den Fall, dass eine ganze Runde filterloser HB- oder Ernte 23-Kettenraucher zu Besuch kam.
Das Mobiliar
Drumherum drei klobige Eichensessel, unbeweglich, bezogen mit braunem Samt, dem einzigen Stoff, der sowohl Licht als auch Freude zu absorbieren schien. Erinnert mich an die aufgeblasene Tante Marge von Harry Potter. Gegenüber lehnte das Sofa-Monster an der Wand: ein truziger 4-Sitzer, unbequem und unkaputtbar. Dort wurde mit angespannter Würde und maximal korrekter Haltung gesessen. Und immerhin: Damals gab’s noch keine Plastiküberzüge. Wahrscheinlich, weil es sie einfach noch nicht zu kaufen gab. Aber keine Sorge – ich komme noch drauf zurück.🤞

Rechts daneben raumgreifend wie die Möbel gewordene Elbphilharmonie: Die Eichenschrankwand. Ein monumentaler Staubfänger mit Vitrinentüren und Glasregalen auf denen Armeen von Bleikristallgläser für jeden (!) erdenklichen Alkohol fein säuberlich aufgereiht standen. Von Omma Elses Eierlikör über Onkel Ludwigs Bier zu Tante Wilmas Piccolöchen, such dir was aus. Selbstverständlich für zwölf Personen. Alles »nur für gut«. In den Schubladen befanden sich die guten Tischläufer – sicher verwahrt, für den Fall eines Staatsbesuchs – oder des Pastors, was dem gleichzusetzen war. Und natürlich in der unteren Schublade der große schwarze, mit rotem Samt ausgestattete Lederkoffer, der das wertvolle Silberbesteck für 20 Personen beherbergte, das aus Gründen nie benutzt wurde.
Der Teppich
All das ruht auf dem Heiligtum des Hauses: dem Teppich. Durfte das Zimmer auch nicht ohne Erlaubnis betreten werden, so wurde der Teppich doch jeden Tag gesaugt. Ausnahmslos! Immer in die gleiche Richtung – aus Respekt.
Konfirmation: Der Moment, in dem deine Zukunft in Form von Aussteuer manifestiert wird
Wird eigentlich heute noch Aussteuer verschenkt? Du weißt schon, diese textile Erstausstattung für das Erwachsenenleben, mit der man vier Schlafzimmer einrichten, zwölf Gäste bewirten und zehn Freundinnen für ein Wellness-Wochenende mit Handtüchern ausstatten könnte?
Mädchen
Wir Mädchen bekamen zur Konfirmation alles, was man als 14-Jährige wirklich nicht wollte: psychedelisch gemusterte Biberbettwäsche mit so flauschig wie ein Plüschpudel und atmungsaktiv wie eine Zeltplane. Handtücher in Eiscremefarben – offiziell »edel«, inoffiziell »vergilbt«, trotz des namhaften Herstellers, also bitte dankbar sein! Und dann aufwendig bestickte Tischdecken in allen erdenklichen Größen, wo dich gefragt hast, ob du jemals so viele verschiedene Tische besitzen wirst.
Und dann dieser Moment, in dem du das Geschenkpapier mit zitternden Händen aufreißt – und einen einzelnen Teller mit fragwürdigem Muster oder Blumenmotiv findest. »Das ist der Anfang deines Services!«, raunt Tante Roswitha bedeutungsschwer. Die Ära des Sammelgeschirrs von Villeroy & Boch und Co. hat begonnen. Nun war klar: Jedes Jahr bekommst du überteuertes Porzellan, das du nie gewollt hast. Und wehe, du benutzt es! Es ist ja »nur für gut«! Also: nie!

Jungs
Und die Jungs? Die bekamen…Geld. Für den Mofaführerschein. Und vermutlich noch ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Born to ride“ und einen Schulterklopfer vom Patenonkel Hermann. Tja, Gleichberechtigung war damals ein Fremdwort, vermutlich irgendwo im Lexikon zwischen Faxgerät und Kassettenrekorder.

Plastikfolie: Die letzte Bastion des Wahnsinns
Jetzt mal ehrlich – es gibt einen ganz bestimmten Punkt, an dem die Idee, Dinge »für gut« zu schonen, endgültig zur Parodie: Plastiküberzüge auf Möbeln. Ja, ich spreche von diesen knisternden, klebenden, schweißtreibenden Folien, die über den »guten Polstern« thronen wie ein durchsichtiges Schild: »Hier wohnt Angst.«
Ich sage nur Sommer und kurze Hose. Du nimmst nichtsahnend Platz und zack: Oberschenkel festgesaugt wie ein Plastikduschvorhang. Es gibt kein Entkommen. Du bist plötzlich Teil des Mobiliars. Ein menschlicher Sticker. Und das alles nur, damit der Brokatstoff drunter nicht leidet. Richtig peinlich wird es dann, wenn du wieder aufstehen willst und dich das Sofa nur mit einem unangenehmen schmatzenden Geräusch wieder freilässt. Spoiler: Du hast mehr gelitten als es das Sofa je könnte. Und niemand, wirklich niemand geht nach Hause und sagt: »Also wow, bei denen war’s zwar ungemütlich, aber die Armlehnen waren noch wie neu!«
Oder noch besser: Die gute Tischdecke, bestickt, mit Ranken und allem Zipp und Zapp, die mit einer durchsichtigen Plastikfolie »geschützt« wird. Du beugst dich über die Suppe, willst dein Brot buttern – und deine Unterarme kleben am Tisch wie Mortadella an der Metzgerfolie. Nichts schreit so sehr hier wird nicht gekleckert wie ein Abendessen, bei dem man beim Aufstehen die festgepappten Arme die Folie vom Tisch zieht.
Und ich frage mich, warum? Warum überhaupt eine schöne Tischdecke auslegen, wenn sie dann aussieht wie ein eingeschweißtes Museumsstück? Lass sie weg. Oder nimm eine, bei der ein Soßenspritzer kein Fall für die Familienkrise ist.
Entfoliatisiert eure Möbel! Gebt den Polstern ihre Würde zurück! Ja, vielleicht passiert mal ein Fleck – aber das ist kein Weltuntergang, sondern ein Zeichen von gelebten Leben.
Bodylotion: Zu teuer und oder zu schade für jeden Tag?
Und dann ist da noch diese eine Bodylotion. Hochwertig, edel verpackt, vom Namen her irgendwas mit französischem „Crème de irgendwas“. Ein Geschenk, über das du dich wahnsinnig gefreut hast. Seitdem steht sie im Badezimmerschrank – unangetastet. Weil: Die ist zu schade für jeden Tag. So ein Quatsch! Irgendwann ist sie ranzig und du wartest immer noch auf den Tag, an dem man du dich spontan wie eine südfranzösische Millionärsgattin fühlen willst. Wie oft wirst du gefragt, was du dir wünscht? Jetzt weißt du es! Natürlich diese Bodylotion – statt wieder nur das neue Buch von Freida McFadden. (Note to myself – ich habe bald Geburtstag!!!)

Fazit: Für Gut ist JETZT ☝️
Das Leben ist kein Probelauf. Es gibt keine zweite Runde mit Bonuspunkten für makellose Tischwäsche. Also hör auf, auf den perfekten Moment zu warten. Denn der perfekte Moment ist selten ein geplanter – sondern einer, den du selbst machst. Mit weichen Handtüchern. Duftender Lotion. Prickelndem Champagner. Und echtem Genuss.
- Trag das Kleid.
- Nutz die Lotion.
- Trink den Champagner.
- Nicht wenn Besuch kommt.
- Nicht für gut.
- Sondern heute.
- Weil heute gut genug ist.



Wie köstlich und du hast ja sooooo Recht. Das „Nur für gut“ habe ich zum Glück schon vor vielen Jahren abgelegt. Die Frage ist doch, sind wir es denn etwa nicht selbst Wert genug, für GUT zu gelten?
Liebe Grüße
Antonette
Liebe Antonette, finde ich auch! Ich habe zum Muttertag so schöne Pfelgeprodukte von Rituals bekommen und liiiiebe sie. ich benutze sie jeden Tag – weil ich es verdient habe👍 #selbstliebe
Liebe Grüße
Kerstin
Ach, herrlich 😄. So froh, dass der Kelch der Aussteuer an mir vorbeigegangen ist.
Alles Gute zum Muttertag und Glückwunsch für Lena 🥳!
Danke, werde ich ausrichten. Wir haben Lenas Zusage ordentlich gefeiert! Ich habe selbstverständlich übertrieben, aber unser Gespräch letztens hat mich zu dem Artikel inspiriert👍