Es gibt Menschen, die beim Friseur so viel plaudern, dass ich manchmal denke, sie werden nicht nur für den Schnitt, sondern auch für das Skript einer Daily Soap bezahlt. Ich bin definitiv nicht einer von ihnen. Ich bin Team Schweigen. Team »Lass mich einfach mein Buch lesen, während mir Farbe in die Haare gefrickelt wird«.
Und ja, ja, ich weiß – Smalltalk ist wichtig, Nähe, Vertrauen, Blabla. Aber wenn ich mit Alufolie auf dem Kopf aussehe wie ein Satellit auf Sendepause, habe ich einfach keinen Bock für Fragen wie: »Und, haben Sie heute noch was vor?« – Nein, ich will still dasitzen, keine Pläne besprechen, keine Seelen öffnen, höchstens die Haarstruktur. Frisöre haben bestimmt so eine Art Fragenkatalog, den sie während des Prozesses abarbeiten.
Ich finde, nicht nur beim Friseur, sondern auch in anderen Lebenslagen ist Schweigen schlichtweg der größere Luxus. Hier sind ein paar persönliche Highlights aus meiner Sammlung der »Bitte-nicht-ansprechen-Momente«, die du garantiert kennst.
Smalltalk beim Friseur
Ich sitze also auf diesem drehbaren Hochstuhl der Wahrheit, der mich auf Augenhöhe mit meinem Spiegelbild hebt – ein Anblick, den man nur mit Humor erträgt – und schon kommt sie, die klassische Eröffnungsfrage: »Na, heute frei? Was machen wir denn heute Schönes?«
Ich nicke und murmele ein bestätigendes hmm. Was ich denke: Nein, ich bin im Auftrag der inneren Balance hier. Mein Haaransatz ist zu sehen. Was ich sage: Nichts weiter. Und das ist auch gut so. Denn sobald ich antworte, lande ich in Null Komma nichts mit 60 km/h im Smalltalk-Kreisverkehr. Ohne Ausfahrt. Friseure können reden – ich auch, will aber nicht.
Doch der Friseurstuhl ist für viele offenbar ein Live-Podcast ohne Pausebutton. Vorne der Spiegel, hinten das offene Ohr – und rundherum laufen Reality-Shows in Echtzeit. Da gibt es Kunden, die extra laut sprechen – also nicht nur, wenn der Föhn brummt oder die Climazone die Bewegung einschränkt, nein – damit auch der letzte Kunde mitbekommt, dass der neue SUV unbedingt hermusste, weil beim alten der Aschenbecher voll war.
Die Frau neben mir führt währenddessen eine vollständige Familienchronik auf. Laut genug, damit die Kundin im Trockenhaubenbereich erfährt, dass der »Kleine« jetzt endlich ins Gymnasium darf, obwohl die Lehrer ja einfach nicht sehen wollen, wie begabt er ist. Klar, Frau Müller, ganz klar – Einstein hatte ja auch Probleme mit der Einschulung.
Wenn mir die Friseurin anbietet, mir etwas zu lesen zu holen, sage ich freundlich: »Nein danke, ich habe mein Buch dabei.«
Unangenehme Nachfragen Frisör vs.und Zahnarzt
»Und die Farbe – haben Sie da was gemacht?«
👉»Haben Sie da selbst gebleicht? Mit diesem Influenzer-Zahnbleaching-LED-Gerät?«
»Der Schnitt? DIY-Youtube Video?«
👉 »Ja, Zahnstein mit der Akku-Flex. Was spricht dagegen?«
»War das Absicht oder… ein Versuch?«
👉 »Ich war betrunken – zählt das?«
»Sie färben also selbst? Bei einer Freundin?«
👉 »Sie ziehen Ihre Zähne auch selbst mit der Zange, oder?«
»Da ist ganz schön was rausgewachsen…«
👉»Da hat sich aber einiges an Zahnstein angesammelt.«
»Wie pflegen Sie Ihre Haare denn zu Hause?«
👉»Putzen Sie auch zwischen den Mahlzeiten?«
Bei der Physiotherapie
Die Kabinen in der Physio-Praxis sind nur durch einen Vorhang getrennt – mit akustischer Durchlässigkeit eines Fliegengitters. Während ich versuche, nicht über meine frisch operierte Hand nachzudenken, erzählt der Nachbar lautstark, wie »die Bandscheibe ihn letzte Woche wieder erwischt hat – ZACK – einfach aus dem Nichts! Beim Husten!«
Man kennt sich irgendwann – schließlich hockst du mindestens zehn Termine lang dicht beieinander und lässt deine Knochen richten. Aber wenn die Gespräche nebenan ins Kraut schießen – damit meine ich alles, was über den Hund oder die neue Küche hinaus geht – wünsche ich mir Oropax.
Meine Therapeutin und ich tauschen schweigend Blicke, wenn es nebenan über:
- Beziehungsprobleme der besten Freundin (die zufällig auch meine Freundin ist – hoppala!)
- Die letzte Darmreinigung mit Glaubersalz (ich sag nur Rohrfrei!)
- Die Schwiegermutter, die seit 30 Jahren nicht mehr nüchtern war, aber immer noch mit ihrem alten Ford die Straßen unsicher macht
- Die Blasenentzündung, die immer dann kommt, wenn es eigentlich günstig wäre, um endlich schwanger zu werden
- Der detaillierte Geburtsbericht des mittlerweile 27-jährigen Sohnes. Mit Saugglocke!
geht.
Ich antworte tapfer auf »Tut das weh?« mit »Ja, ein bisschen. In den Ohren.« und widme mich dann meinem inneren Zen. Und ganz ehrlich: Vielleicht sollte ich meiner Freundin wirklich sagen, dass über sie gelästert wird.
Im Fahrstuhl
Es ist 14:43 Uhr. Ich weiß das so genau, weil ich in genau diesem Moment auf das Display des Fahrstuhls geschaut habe, wie die Personen, die ebenfalls die Treppe sparen wollten. Ich wollte ganz in Ruhe einkaufen, vielleicht ein bisschen bummeln – schweigend. Ohne Smalltalk. Ohne Blickkontakt. Ohne menschliche Interaktion. Was kann da schon schiefgehen?
Ping. Die Fahrstuhltür öffnet sich. Ich steige ein. Die sieben weiteren Menschen ebenfalls. Ein kollektives Ritual beginnt: höfliches Nicken, gequältes Lächeln, dann synchrones Umdrehen zur Tür – eine perfekte, überall angewendete Fahrstuhl-Choreografie. Alle schauen in dieselbe Richtung aneinander vorbei. Blöd nur, wenn der Fahrstuhl von innen verspiegelt ist. Horror-Plot-Twist: in der Ecke entdecke ich jemanden, den ich aktiv gegohstet habe. Schnell ducke ich mich weg – aber es ist zu spät:
»Na, auch shoppen?«
Nein, ich bin nur nach Osnabrück gefahren, weil mein Tank zu voll war, denke ich und grinse schief. Nicke. Schweige.
»Wird wieder warm heute.«
Ich nicke wieder. Intensiver. Schweigen 2.0.
»Sag mal… hast du neulich unsere Verabredung vergessen?«
Alle Blicke sind jetzt auf mich gerichtet. Teilweise mit hochgezogenen Augenbrauen. Ich murmele »Oh… äh… ja, da… ist leider was… dazwischen… äh… gekommen. Irgendwie … total vergessen, sorry.«
Ein erlösendes Ping! Tür auf. Erst dritter Stock. Egal, raus hier! Und das alles, obwohl ich heute doch nur eins wollte: In Ruhe shoppen. Ohne Smalltalk. Und schon gar nicht vor Publikum.
Beim Zahnarzt
Ich liege auf dem Zahnarztstuhl. Rücken flach, Kiefer angespannt, Seele schon auf halber Flucht. Ich weiß, was kommt.
Die Zahnärztin erscheint, schaut kurz rein, tut so, als wäre das alles Routine – für sie vielleicht.
»Und, schon im Urlaub gewesen?«
»Mmrm… rmmm«, antworte ich ausführlich. Sie nickt anerkennend. Dann der Satz, der kurz wie Erlösung klingt: »Frau Müller macht dann kurz das bisschen Zahnstein weg.«
Kurz. Das bisschen. Wie naiv ich war, tassss.
Frau Müller betritt das Behandlungszimmer mit dem Enthusiasmus einer Talkshow-Moderatorin und der Ausrüstung eines Dachdeckers. »Hallo Frau Steinkamp! Eine schöne Bräune haben Sie! Wo waren Sie denn?«
Ich wollte »Langeoog« sagen. Kam aber nur »Grmmbk!« raus – weil ich in diesem Moment bereits mit einem Absaugrohr, zwei Wattebäuschchen und einem metallischen Greifhaken ausgestattet wurde. Ich bin zu einem Werkzeughalter mit Puls mutiert.
Frau Müller aber lässt sich nicht beirren. Sie startet nicht etwa die Reinigung – nein, sie startet ihren Monolog. »Also WIR waren ja in Dänemark. In so einem schuckeligen Häuschen. Direkt am Meer. Leider hat’s geregnet. FÜNF Tage. Aber wir haben dann trotzdem Räder gemietet.«
Ich liege da, die Lippen auf halb acht, der Unterkiefer zittert vor Anstrengung – und sie redet weiter.
»Aber beim nächsten Mal nehmen wir unsere eigenen mit, diese Sättel waren ja eine Katastrophe! Ich konnte zwei Tage kaum sitzen. Mein Mann hat gesagt, ich laufe wie so ein Cowboy nach drei Tagen Rinder einfangen, hihi!«
»Hrmmm … hmmm«, mache ich und versuche zu schlucken, weil das Ding sich an der Wange innen festgesaugt hat.
»Uuups, das passiert mir ständig (lacht). Dann machen Sie mal den Mund weeeit auf.«
Echt jetzt?, denke ich und verändere meine Liegeposition von leicht angespannt zu biegsam wie ein Doppel-T-Träger. Mein einziger Gedanke: Mach’s einfach. Schmirgeln. Polieren. Schweigen.
„Ach, und ich hab SO zugenommen im Urlaub. Ich sag’s Ihnen, ich fühl mich wie zwei Öltanks auf Stelzen. Aber gut, die Kinder sind sechs und acht – da kommt man ja zu nix!“
Ich liege reglos da. Innerlich habe ich längst aufgegeben.
Nach zehn Minuten ist alles vorbei. »Sollen wir schon einen neuen Termin machen?“, fragt Frau Müller fröhlich.
»Sehr gerne«, antworte ich und verlasse erleichtert die Praxis. Die Sonne blendet. Mein Mund fühlt sich an wie frisch aus dem Baumarkt.
In der Bahn
Ein freier Platz. Was sag ich – freie Plätze weit und breit kein Mensch! Ich atme kurz durch. Jackpot. Nur noch 30 Minuten bis nach Hause, vielleicht ein Podcast, vielleicht ein bisschen lesen – einfach nicht mit Menschen interagieren.
»Ist hier noch frei?«, fragt jemand, der es bereits weiß, denn er setzt sich, bevor ich auch nur blinzeln kann.
Kaum sitze ich, zieht eine Gruppe von fünf Menschen durch den Gang wie eine Karnevalstruppe auf Abwegen. Sie stehen. Sie lachen. Sie reden über Lautstärkepegel, die man sonst nur vom Thermomix kennt. Und ich? Ich bin jetzt mitten drin. Im Kreis. Im Auge des Smalltalk-Sturms.
»Also, der Kevin, ne, der war ja NIE der Hellste, aber jetzt heiratet er auch noch die mit den Extensions – weißte?«
»Die mit dem Spruchshirt? ‚Don’t worry, be sexy‘?«
»GENAU die! Ich wette, das klebt als Wandtattoo in ihrem Schlafzimmer!«
»Und dann das Kleid. Guido hätte gesagt: Das tut nix für sie.«
Ich hingegen tue, was ich am besten kann: Ich höre ‚Verbrechen von nebenan‘ und schaue aus dem Fenster. Mein einziger Gedanke: Nur noch 20 Minuten.
Yoga & Pilates
Ich rolle meine Matte aus. Ich will Ruhe. Atmen. Loslassen. Doch neben mir breitet sich Babsi, die Menschen-Podcast-Version einer Klangschale, aus. Ihr richtiger Name lautet Babette – passt eigentlich auch viel besser zu ihr. Daneben ihre Freundin Tanja, aka »Ich-flüstere-nur«-Tanja, obwohl ihr »Flüstern« in etwa so dezent ist wie ein Schnellkochtopf kurz vorm Piepen.
Noch bevor wir richtig sitzen, geht’s los:
Tanja: »Also ich liebe ja dieses Studio! Ich war ja neulich in Bali – wir haben auf Vulkanasche meditiert. Mega reinigend!«
Aha. Ich sitze auf einem 9,99€-Discounterkissen und … atme.
Babsi: »Hast du dein Yogakissen von Lotus oder schon aus dem Studio-Shop? Ich hatte ja mal eines mit Lavendel, aber jetzt Bio-Buchweizenschalen – ganz andere Energie!“
Ich nicke, atme tief ein und versuche mich zu erden.
Unsere Trainerin beginnt den Kurs. Sanfte Stimme. Liebevolle Ansagen. »Spürt den Boden unter euch… lasst los… lasst alles los…«
»Ich lass gar nix los, ich hab so viel Wasser eingelagert«, zischt Tanja.
»Ich sag dir, das ist der Zyklus. Ich wieg zwei Kilo mehr – MINDESTENS!«
„Ja, ich auch. Obwohl von Zyklus bei mir keine Rede mehr sein kann. Und das Knie zwickt schon wieder… ich sag’s dir, wir werden auch nicht jünger …«
»Versuchs mal mit Ashwaganda – ich sag dir: ein Game-Changer!«
Die vermeintliche Flüsterei zischt durch den Raum wie ein kaputter Dampfbodenreiniger.
Nach der Stunde:
»Findest du nicht auch, dass es heute irgendwie hektisch war?«
»Voll. Ich konnte mich gar nicht richtig entspannen.«
Nein? Wuuuusaaaa.
Fazit:
Schweigen ist Gold. Reden ist manchmal einfach nur laut. Ich bin keine Menschenfeindin. Ich mag echte Gespräche, Austausch – am liebsten bei Wein, mit Menschen, die mich interessieren und mir das Gefühl geben, auch an meiner Person interessiert zu sein.
In vielen Alltagssituationen ist Schweigen einfach gesünder. Oft ist das, was man NICHT sagt, viel spannender.

Oh, ich verstehe dich nur zu gut😂.
Ich bin letztens mit Bedacht ins Kino gegangen (heißer Tag, Uhrzeit: Mittag) und fand es erwartungsgemäß fast leer vor.
Bis sich schräg vor mich zwei Trullas setzten, die jede einzelne Szene kommentiert haben. Leise zwar, aber nicht unhörbar. Ich hab ihnen dann irgendwann gesagt, wie störend das ist, aber mein Spaß am Film war da bereits auf der Strecke geblieben.
Mitleidende Grüße
Marie
Liebe Marie,
ohhh ja – das sind die Trullas des Grauens!
Man wählt Tag, Uhrzeit und sogar Außentemperatur strategisch, um ein ruhiges Kinoerlebnis zu haben … und dann sitzt plötzlich der Live-Podcast „Ungefragte Kommentare zu jeder Szene“ direkt vor einem.
Leise – aber eben nicht unsichtbar für die Ohren.
Respekt, dass du was gesagt hast – viele von uns schweigen ja und leiden still (bis wir dann zuhause in voller Lautstärke fluchen).
Blöd nur, dass dein Spaß schon in der Vorschau vorbei war.
Solidarische, mit den Augen rollende Grüße